Copwatch – dedicated to monitoring police actions. Ein kurzer Einblick in die Praxis der ‚umgekehrten Überwachung‘ (2024)

von Riccarda Gattinger

Most importantly, we encourage people to exercise their right to observe the police and to advocate for one another.1

Dieser Aufruf ist Kern derCopwatch-Bewegung, bei der die zivile Beobachtung zu einem Instrument für Gerechtigkeit und staatliche Rechenschaftspflicht wird.

In den 1990er Jahren hat sich in Berkeley (Kalifornien, USA) die erste Copwatch-Gruppe als Reaktion auf Fälle von Polizeigewalt und Machtmissbrauch gegründet. Die Bewegung hat sich seither zu einem Netzwerk autonomer aktivistischer Organisationen entwickelt.Copwatchingbeschreibt eine Praxis, bei der freiwillige Bürgerinnen2 die Aktivitäten der Polizei überwachen, dokumentieren und bei Bedarf kritisieren. Die Mitglieder patrouillieren in ihren Gemeinden, auf Demonstrationen und Protesten. Ihr Ziel ist es, „by directly observing the police on the street“3 , Transparenz zu schaffen, potentiellen Missbrauch von beispielsweise Befugnissen, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen, oder unangemessenen Einsatz von Überwachungstechnologien und übermäßige Gewaltanwendung gegenüber Bürgerinnen aufzuzeigen sowie gegen derartiges polizeiliches Fehlverhalten vorzugehen.

Copwatch– dedicated to monitoring police actions. Ein kurzer Einblick in die Praxis der ‚umgekehrten Überwachung‘ (1)

In verschiedenen Programmen werden die Freiwilligen für ihreCopwatch-Fälle entsprechend geschult und über ihre Rechte und die spezifischen Befugnisse der Polizei informiert. Dies ermöglicht es ihnen, angemessen auf Polizeiaktionen zu reagieren und mögliches Fehlverhalten als solches zu erkennen und gegebenenfalls zu intervenieren. Der präventive Charakter dieser Initiative liegt darin, dass Zivilistinnen – mit Videokameras ausgestattet und über ihre Rechte informiert – Polizeiaktionen beobachten und dokumentieren, in der Hoffnung die Polizistinnen proaktiv von Fehlverhalten und Missbrauch abzuschrecken.

Zusätzlich zur Dokumentation von Vorfällen polizeilichen Fehlverhaltens versuchenCopwatch-Gruppen unabhängige Daten über Polizeiaktivitäten zu sammeln, sogenannte Statistiken von unten. Darüber hinaus bieten sie rechtliche, finanzielle und emotionale Unterstützung für Personen an, die Opfer von diskriminierendem Verhalten oder Gewalt durch die Polizei geworden sind.

DieCopwatch-Bewegung hat auch in anderen Teilen der Welt, einschließlich Deutschland, an Bedeutung gewonnen. Lokale Gruppen haben sich unter anderem in Frankfurt, Hamburg und Leipzig gebildet, um die Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden zu überwachen und auf mögliche Missbräuche aufmerksam zu machen. In Hamburg entstand die Gruppe beispielsweise durch die Initiative von Anwohnerinnen St. Paulis als Reaktion auf die polizeiliche Dauerpräsenz. Sie appellieren an die Bevölkerung, bei diskriminierenden Polizeikontrollen nicht wegzusehen, sondern praktische Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen. Auch in Leipzig ruft die Initiative explizit zur solidarischen Begleitung von Polizeikontrollen und Demonstrationen auf.

Copwatch– dedicated to monitoring police actions. Ein kurzer Einblick in die Praxis der ‚umgekehrten Überwachung‘ (2)

Im Oktober 2018 wurde in München von den Künstlerinnen- und Aktivistinnen-KollektivenPolizeiklasseundPeng!als Reaktion auf das neue Polizeiaufgabengesetz in Bayern, das die Befugnisse der Polizei erheblich erweiterte, das Projekt namensCopMapins Leben gerufen.CopMapwar eine interaktive Karte, die es Menschen weltweit ermöglichte, polizeiliche Aktivitäten einzutragen. Das Projekt führte zu landesweiten Reaktionen von Medien, Politikerinnen und Polizeigewerkschaften, von Belustigung über Erstaunen bis hin zu Widerstand. Die Karte ist zwar nicht mehr verfügbar und erwies sich nicht als nachhaltiges Überwachungsinstrument zur Meldung von Polizeikontrollen. Dennoch erlangte das Projekt durch seine provokante und medienwirksame Veröffentlichung Erfolg als eine „discursive intervention“4 . Unter anderem machte es auf das Problem der fehlenden demokratischen Kontrolle polizeilicher Praktiken aufmerksam und trug zur Sensibilisierung für antirassistische und Anti-Überwachungs-Bewegungen bei.

DieCopwatch-Bewegung vereint Polizeibeobachterinnen, die sich in ihrem Einsatz für soziale Gerechtigkeit die Form der Überwachung zu eigen machen. Die Praxis richtet sich an der Wachsamkeit und Aufmerksamkeit der einzelnen Bürgerin als wesentliches Erfolgskriterium aus. Statt von staatlichen Institutionen beobachtet zu werden, überwachen die eigentlich Überwachten die höhergestellte Einrichtung Polizei. „[B]y inverting the gaze of the oppressor“5 werden der gewohnte Überwachungsweg umgekehrt und vorherrschende Überwachungsnarrative herausgefordert. Das Beobachten von unten unterläuft nicht nur die Überwachung der Polizei, sondern stört auch verinnerlichte Annahmen darüber, wer oder was zu überwachen ist. Indem die Einzelne dazu aufgefordert wird, in der Öffentlichkeit wachsam und aufmerksam zu sein, nicht trotz, sondern wegen der Polizei, werden „counter-imaginiaries“ geschaffen und die „dominant hierarchies of attention“ untergraben.6

Copwatch– dedicated to monitoring police actions. Ein kurzer Einblick in die Praxis der ‚umgekehrten Überwachung‘ (3)

Diese Art der inversen Überwachung, auch als sousveillance (dt. Unterwachung) bekannt, dient nicht nur als praktische Maßnahme gegen polizeiliches Fehlverhalten, sondern trägt auch kulturell zu sozialen Gerechtigkeitsbewegungen bei. Die Gruppen versuchen insbesondere im Hinblick auf strukturellen, internalisierten und latenten Rassismus, das Bewusstsein zu schärfen und Solidarität innerhalb der Gemeinschaft zu fördern. Die „original Copwatch group“7 in Berkeley wurde 2013 für ihren Einsatz für Offenheit und Transparenz sogar mit demJames Madison Freedom of Information Awardvon derSociety of Professional Journalists8 ausgezeichnet.

Vigilanz kristallisiert sich als eine ermächtigende Praxis insbesondere für von Diskriminierung und Rassismus betroffene Bevölkerungsgruppen heraus. Dennoch verbirgt sich hier das Risiko die Logik eines Überwachungsstaates aufrechtzuerhalten. Denn obwohl die „method of watching back“9 sich selbst im Anti-Überwachungs-Aktivismus positioniert, propagiert sie selbst eine Form der Überwachung. Zudem laufen die Gruppen Gefahr, sich zu sehr in einem unkontrollierten und dezentralen Informationsaustausch zu verlieren. Hier stellt sich die Frage, wie viel Institutionalisierung es bedarf, um ein wirksames Überwachungsinstrument hervorzubringen, ohne den Blick von unten zu verlieren.

Cite this article as: Riccarda Gattinger, Copwatch – dedicated to monitoring police actions. Ein kurzer Einblick in die Praxis der ‚umgekehrten Überwachung‘, in: Vigilanzkulturen, 10/01/2024, https://vigilanz.hypotheses.org/4758.

Diesen Blogbeitrag zitieren
Blogredaktion (2024, 10. Januar). Copwatch– dedicated to monitoring police actions. Ein kurzer Einblick in die Praxis der ‚umgekehrten Überwachung‘. Vigilanzkulturen. Abgerufen am 27. Juni 2024, von https://doi.org/10.58079/vkaw

  1. https://www.berkeleycopwatch.org/about[letzter Zugriff: 21.12.2023]. []
  2. In diesem Beitrag wird das generische Femininum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter. []
  3. https://www.berkeleycopwatch.org/about[letzter Zugriff: 21.12.2023]. []
  4. Harju, Bärbel: „Stay Vigilant“: Copwatching in Germany. In: Surveillance & Society 18/2 (2020), S.282. []
  5. Ebd. []
  6. Harju, Bärbel: „Stay Vigilant“: Copwatching in Germany. In: Surveillance & Society 18/2 (2020), S.281. []
  7. https://www.berkeleycopwatch.org/about[letzter Zugriff: 21.12.2023]. []
  8. https://spjnorcal.org/[letzter Zugriff: 04.01.2023] []
  9. Harju, Bärbel: „Stay Vigilant“: Copwatching in Germany. In: Surveillance & Society 18/2 (2020), S.282. []
Copwatch – dedicated to monitoring police actions. Ein kurzer Einblick in die Praxis der ‚umgekehrten Überwachung‘ (2024)
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